Verdünnte Rosinen
Anmerkungen zu den Cooks of Grind

„Her mit an Bier!“
(aus: „G’fickt für immer“ von der mitunter, aber nicht immer vortrefflichen
„Neigungsgruppe Sex, Gewalt und Gute Laune“)

Mein Gott! Jetzt trägt er tatsächlich Micky Maus-Ohren, der Uhrturm, wie weiland von der Künstlerin Christine Gloggengiesser prophetisch auf einer blaugrünen Postkarte, lange vor der kulturhauptstädtischen Trickparade vorhergesagt. Dabei kannte die Gute Graz nur peripher, wurde in München geboren, lebt in Wien und träumt tagsüber nur von Los Angeles. Egal, dieser von Cooks of Grind als optisches Erkennungszeichen verwendete Mausturm pfeift nicht aus dem letzten Loch, er sprüht und brutzelt: Flammen, was in diesem Fall weniger eine Hommage an die Hot Rod-Kultur Kaliforniens, sondern das Ergebnis eines spätabendlichen Thunder-Beans-Genusses sein dürfte. Jedes Böhnchen, einTönchen. Schöne Redewendung, lange nicht mehr gehört, Herr Tiz! Und Kiss brettern zu den Flatulenzfestspielen. Nein, nicht „I was made for loving you“. Diesem Schmarren für Retrotanzpartys. Das kreisrunde Loch brennt, lodernd, feurig. Könnte auch das Logo für den Brand im St. Gotthardtunnel sein, aber wer verwendet für eine Katastrophe schon ein Logo? Oder etwa doch eine stilisierte Kochhaube? Reklame für den exzentrischen Barbecue-Laden am Stadtrand von Tijuana, dort, wo auch zwei Mal täglich ganz und gar nicht jugendfreie Donkey-Shows angeboten werden? Da brennt nichtnur der Hut. Oder doch ein Uhrturm-Inferno?

In jedem Fall: voll campy. Wissen Sie noch? Camp? Camp ist keine natürliche Weise des Erlebens. Zum Wesen des Camp gehört vielmehr die Liebe zum Übernatürlichen: zum Trick und zur Übertreibung. Und Camp ist esoterisch – eine Art Geheimcode, ein Erkennungszeichen kleiner urbaner Gruppen. Sagt Susan Sonntag. Womit das erste Zitat schon eingebracht ist. Einfach so, fußnotenfrei. Und: Es stammte nicht von Vilem Flusser. Immerhin. Eine Fußnote noch zu den Mickymaus-Ohren. In Malta, Kärnten, sind kürzlich 700 Jahre alte Fresken aufgetaucht, die eine verwitterte, sehr mickymausähnliche Gestalt zeigen. Angeblich eine Bärenfigur, gemalt von einem in der Naturkunde nicht allzu versierten Künstler. Angeblich. Aber: sehr sympathisch.

Unser tägliches Brot ist die Sprache. Wir wollen auf die Butterseite fallen, am besten nicht von der Hand in den Mund leben müssen und vor allem nicht mit Wahlzuckerln abgebrühter Politiker abgespeist werden: „Nahrhafte“ Redewendungen sind Teil des Alltagslebens. Vielfach unbemerkt. Christa Binder hat es bemerkt und am Grazer Institut für Germanistik eine „Onomasiologische, projektorientierte Analyse eines prägenden Bildspendebereiches in der deutschen Gegenwartssprache“ erstellt. Auch nicht schlecht.
Onomasiologie? Die Onomasiologie oder Bezeichnungslehre ist ein Teilgebiet der Lexikologie. Man geht von Begriffen (Konzepten und Sachverhalten) in einem bestimmten Bereich der Wirklichkeit aus und sucht die entsprechenden Bezeichnungen. Meint Wikipedia. Wieder etwas gelernt. Christa Binder hat also Worte gesammelt. Von „A“ wie „abdampfen“ bis „Z“ wie „Zunge“. Anbraten, aufbrezeln, auskosten. Beigeschmack, Broterwerb, Buchstabensalat. Dreikäsehoch, durchbeißen, durchfüttern. Eigenbrötler, Erbsenzähler, Extrawurst. Gepfeffert, geschmalzen, geschmackvoll. Hausbacken, häppchenweise, herumwurschteln. Milchgesicht, Milchmädchenrechnung, mundgerecht. Salamitaktik, Sauregurkenzeit, Schokoladenseite. Würze, Wermutstropfen, wurscht. Das System dürfte jetzt klar sein. Klar wie Kloßbrühe: Nahrung beeinflusst das Sprachverhalten. Und Sprachverhalten das Aussehen der Nahrung. Wenn Cooks of Grind „Falsche Titte“ auftischen, dann müssen die Pfirsichhälften mit gefrorenen Himbeeren garniert werden. Dort, wo es optisch Sinn macht. Das Auge isst mit, will einem ja auch die vom Wiener „designforum“ konzipierte Ausstellung
„Food Design“ einreden. Warum ein Baci („Küsse“) so aussieht, wie es aussieht? Es gibt keine Zufälle. Die von einem Haselnüsschen bekrönte Erhebung ist eine schokoladige Hommage an die weibliche Brust. Krude Männerfantasien eines Mitvierzigers? Mitnichten.
Unterschwellige Hineinbeiß- und Genusslogik.Apropos hineinbeißen. Tex Rubinowitz verdanken wir das Wissen, dass es für  glückliche Karpfen einen Kugelköder („Boilies“) gibt, der vor der Verwendung in hochwertigem Pulver gerollt werden kann. Mit lebensnotwendigen Substanzen wie Fett, Eiweiß, Kohlehydraten, Vitaminen und Mineralstoffen. Eine letzte Freude vor dem Tod. Und aus! Gesunde Teichschweine, zufriedene Fischesser.

Cooks of Grind sind ein Männerkochverein. Ein Kollektiv der bösen Buben. Zwölf an der Zahl (bitte keine christologischen Deutungsversuche!). Wer sie kennt, weiß: Wirklich, wirklich bös sind sie nicht, wenn, dann nur ein bisschen und beim Rest tun sie nur so. Aber sie haben schmutzige Gedanken, lausbübischen Witz, ein großes Herz für die Kunst, ein ebensolches für die Lust an der Provokation, keine Furcht davor, das zusammenwachsen zu lassen, was eigentlich nicht zusammengehört; viel Freude am echt harten Stromgitarren-Liedgut, kaum stillbare Experimentierfreude (gepaart mit ausgeprägter Tabubruchsehnsucht), ein gehöriges Subkultur-Gourmetbedürfnis und einen schier überbordenden Kreativitätsfluss, der in Bahnen gelenkt werden muss. Sie waren mit ihrem Kochtrip früh dran (2001), viel früher als die kommerzbesudelte Kochlöffel-Generalmobilmachung unserer Tage und sie sind eine passende Antwort auf Flaschen wie die heimischen „Frisch gekocht“-Selbstdarsteller Andy Wojta und Alexander Fankhauser. Televisonäre Konsumenten von TV-Shows unterliegen nicht selten dem Irrtum, wonach schon der passive Akt des Zuschauens dem Körper gut tun, munden würde. „Wos hat’s denn heut’ geben im Fernsehen?“ „Ossobuco vom Lamm mit Bärlauchkartoffeln. Und Panna cotta und Mozarella Carozza.“ „Mei, guat.“ Und schon ist es Zeit für eine Tiefkühlpizza.

Zeit für einen Schwenk zur Kunst, Zeit für ein Zitat. Diesmal von Wolfgang Ullrich. „Zugleich weckt eine Skulptur oder Bildtafel auf Grund ihres Objektcharakters die Illusion, man könne damit ‚die’ Kunst selbst, in einem Ding verkörpert und zum Fetisch geworden, erwerben und all das auf einmal kaufen, was man sich von ihr im Allgemeinen erhofft“, schreibt dieser im lesenswerten Buch  „Tiefer hängen – Über den Umgang mit der Kunst“. Funktioniert eben auch nicht. Das Kunsteinverleiben. Das Verinnerlichen von Kreativität von außen. Das System der Cooks of Grind hingegen funktioniert. Am räudigen Parkplatz tief im oststeirischen Westen, dort wo das Ex-Kohlerevier zuckend nach Luft schnappt, am Kunstort Forum Stadtpark, wo Jahr für Jahr versucht wird, der Last der Vergangenheit ein Schnippchen zu schlagen, beim Ball auf der Universität, wo wenigstens die Grindköche authentisch sind, oder beim ziemlich gelungenen Straßenfest im neu erwachten Kreativviertel der verschlafenen Ex-Kulturhauptstadt Europas. Eine Weltsensation in der Provinz: der Hot Dog Automat. Schön ist er. Witzig auch. Weckerl- und Würstelpräparierung mit Low Tech-Flair. Mahlzeit. Die Dinger können es mit jenen von Pink’s, Ecke La Brea/Melrose in Los Angeles durchaus aufnehmen. Und das heißt was. Pink’s: Home of the Best World’s Chili Dog. Kein Schmäh. Seit 1939. Fragen Sie Günther Holler-Schuster. Oder George Clooney. Der geht dort auch hin. Manchmal zumindest.

„Es gibt den linken und den rechten Fußball. Oder: Qualität ist Respekt vor dem Volk“. So lautet der Titel des zweiten Kapitels in Harald Irnsbergers Buch „Cesar Luis Menotti – Ball und Gegner laufen lassen“. Was „El Flaco“ für das Spiel mit der Lederwuchtel definiert hat, kann auch adaptiert werden. Es gibt den rechten und den linken Ernährungsauftrag. Cooks of Grind sind links. Eher schon links. Trotz (oder gerade wegen) ihrer Kochbuchverbrennungen. Weg mit dem Schnöselblendwerk zum Sammeln. In die sengende Hitze mit den Verlegenheitsweihnachtsgeschenken, die ohnehin nur verstauben. Diese Kommerzödnis muss niemand lesen. Vielmehr: selber kochen. Ohne starre Regeln. Mit Mut zum Risiko. Die uniformierten Haubenköche mit dem ausgeprägtem Hang zum erlesenen Fanartikel fühlen sich im Vorstadtbeisl, wo sie das übliche Leberknödel- und Schnitzelangebot bei Veranstaltungen gehörig aufmotzen,pudelwohl. Ansonsten: Grammelschmalzbrot statt Jakobsmuschel. Falsche Kalamari (Frankfurter Würstel) statt dem ideenlosen Lachscarpaccio, welches überall dort aufgetischt wird, wo nach dem kleinen Braunen inklusive Petit Fours die Rechnung zwecks steuerlicher Absetzbarkeit verlangt wird. Nein, der Männerkochverein interessiert sich für Menüs aus der Kantine des Bundesasylamtes, der Küche des Caritasheimes für Flüchtlinge und für den Speiseplan der Gefängnisküche. Was bekommen Schubhäftlinge vorgesetzt? Was wird der Herr F. aus Amstetten speisen? Was wird den Langzeitobdachlosen im Marienstüberl kredenzt? Die soziale Stellung geht durch den Magen. Oder auch nicht? Es ist der spielerische (nicht vorwitzige) Umgang und nicht der ausgestreckte Zeigefinger, der die Kochkunst des zwölfköpfigen Männerkollektivs auszeichnet. Das Rohe und das Gekochte. Die Rede ist nicht vom grenzgenialen Album der Fine Young Cannibals, sondern vom Original, vom Titelgeber: Claude Levi-Strauss. Fazit: Das Fremde verstehen lernen. Genau. Schürze umbinden, das Messer wetzen undnachdenken. Hat der Prozess der Zivilisation mit der Schlachtung des ersten Tieres, mit der Einführung von Salz und Gewürzen begonnen? Gute Frage. Heißt dick sein dumm sein, und umgekehrt? Antworten darauf bietet Francesca Rigotti in ihrem Werk „Philosophie in der Küche“ an, das den Untertitel „Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft“ trägt. Ein Büchlein, welches wiederum schon in der Einleitung an Ludwig Wittgenstein erinnert, der ja so recht hat: „Rosinen mögen das Beste an einem Kuchen sein, aber ein Sack Rosinen ist nicht besser als ein Kuchen“ (…) „Ein Kuchen, das ist nicht gleichsam: verdünnte Rosinen.“ Schöne, perfekte Formulierungen. Muss man sich merken. Sind titeltauglich.

Vom Philosophenhimmel, wo auch Allesgneißer Konrad Paul Liessmann unter anderem mit der These, wonach der schlechte Geschmack der eigentlich Gute sei, Einlass begehrt, zurück in die Gosse. Beim Namen Cooks of Grind denkt der Schreiber dieser Zeilen automatisch an Sigi Maron. An Textzeilen des Liedermachers, des Protestsängers im Rollstuhl. Im Song „Da Hausmasta“ heißt es: „hobts denn ka fantasie/ spülts eich so wia i/ mi gespült ob ois a kind/ mit mein zechnkas und mit mein eignen grind“. Grind in der Bedeutung von Schorf also. Tristesse und Witz gehen eine Einheit ein. Apropos: „Falscher Zechnkas“ könnte eventuell einmal der Titel eines Gerichtes der Cooks of Grind sein. Auf Konventionen absolut pfeifen und doch diesseits der Peinlichkeitsgrenze agieren: das ist eine der Stärken der kulinarischen Eingreiftruppe, die längst mehr ist als eine Szenevergnügung im – kunstbetrieblich gesehen – immer höhepunktsärmeren Graz. Kochen, bis die Flammen züngeln. Mit Hirn, Bauch und Seele. Und eben nicht selbstgefällig ein Spielball der Kunstschickeria werden. Wie der zugegeben profunde Molekulargastronom Ferran Adria mit seinem documenta-geschädigten Lokal El Bulli. Der von sich behauptet, die Liofilisation, ein Verfahren der Vakuumtrocknung erfunden zu haben: „Wir machen damit einen salzigen Biskuit ohne Eier und Apfelsinenscheiben, die außen trocken und innen frisch sind. Das ist revolutionär. Aber wir machen auch Gebäck in der Mikrowelle, was nicht außergewöhnlich klingt, aber genial ist.“ Dem setzen die steirischen Brachialköche ihren kategorischen Imperativ entgegen: „Nichts muss neu erfunden werden.“ Alle Rezepte, Traditionen würden durch geistige Auseinandersetzung wieder neu belebt und in ihrer ewigen Gültigkeit bestärkt werden. Sagen die mit Gott, Scum, Palatschinken und der Welt kokettierenden Lausbuben. Und grinsen. Ironie oder Unsicherheit? In jedem Fall: sehr sympathisch. Zwei Hot Dogs bitte!

Martin Behr
Martin Behr, lebt und arbeitet in Graz
Studium der Kunstgeschichte,
Redakteur der Salzburger Nachrichten,
Mitglied der Künstlergruppe G.R.A.M.

 

Chefs with Wieners: On Masculinity, Local Culture and Culinary Art

The circular hole is ablaze. Tongues of flame dangerously shoot out from the center. A radical abstraction of the St. Gotthard 2001 tunnel fire? A logo symbolizing a catastrophy? Not really. One can also identify the outlines of a chef’s hat that surround the circular hole. Advertising for the eccentric barbecue-shack situated on the outskirts of Tijuana, where x-rated donkey-shows are staged? No. Rather, this is the bizarre visualization of the badge of Cooks of Grind (CoG), an assembly of male chefs which, since 2001 have quickly gained reputation through “artificial cooking events” at which, for example, one can participate in (post-game) beer showers and at which “Photomontages” and “Magical Rock’n Roll Food” are served. Their clients? The “Messiah of Lend”, the soccer players of Jakominigürtel in their black or white dress or hippies longing for nostalgia.

Cooks of Grind. A collective of roughnecks. Twelve in number. But the truth is: They are not really rough. No doubt, however, that their minds are filled with dirty thoughts, mischievous wit, love for art and the guts to bring together things that usually do not belong together. Furthermore, they share a passion for heavy metal music, a love to experiment (together with a distinct aspiration for breaking taboos), an uncontrollable stream of creativity and the desire to establish a subculture of culinary delight. Long before the commercialization of polished and high-budget cooking shows, Cooks of Grind have already rattled their pots and pans for the sake of self-expression.

Adhering to their mobile kitchen philosophy, Cooks of Grind cook up on the mangy car park of a former coalfield in eastern Styria, in the exhibition space of the Forum Stadtpark, at the annual University ball, at street and design festivals that celebrate a new creative quarter of the city. One of the chefs’ trademarks is the “Hot Dog Machine”, an automaton that, in a low tech manner, assembles buns and wieners. An objet d’art that produces hot dogs as delicious as those served at Pink’s in Los Angeles, synonymous with Home of the Best World’s Chili Dog. No kidding. Go and ask George Clooney.

Cooks of Grind feel at home in local taverns, places where they can pimp up traditional dishes such as Leberknödel and Schnitzel. Grammelschmalzbrot instead of scallops. Fake calamari (wieners) instead of dull salmon carpaccio. ‘French fries black & white’ for avid “Sturm” football fans who after attending the art exhibition ‘Jahrhundertsturm’ get together and pig out in the Cooks of Grind culinary headquarter, called “Kombüse” located in the Erzherzog-Johann-Allee in Graz. Its rustic and convivial atmosphere has recently inspired Gunter Brus to intone an improvised duet with Evel Knievel, frontman of the garage-punk & rock’n’roll band “The Staggers.”  The “Kombüse“ is a place very down-to-earth but still sensuous. It is a laboratory of creative urges for those who chose “Male Chefs Cooking for You” as their motto.

The name Cooks of Grind recalls the lines of a song by Sigi Maron, chairbound protest singer and songwriter. In “Da Hausmasta” it goes: hobts denn ka fantasie/spülts eich so wia i/ mi gespült ob ois a kind/ mit mein zechnkas und mit mein eignen grind“ Grind translating into scab. Melancholy meets wit. Speaking of “Zechnkas” (toe jam), the “Fake Zechnkas” would be more than appropriate to become the name of a CoG dish. “Fake tit” has already made it onto the menu. The ability to defy conventions but still being able to remain within the limits of embarrassment is certainly one of the strong points of this male culinary force. Cooks of Grind stand for much more than just honky-tonky entertainment. They use their brains, stomachs and souls for performing a culinary counterstrike against the artsy smart set and, in particular, their paralyzed palates.

Aus dem deutschen „Original von Martin Behr“ übersetzt